Nach wie vor werden wir oft gefragt, weshalb wir die Auswärtsspiele in Stadien boykottieren würden, in denen ein ID-Scan durch private Sicherheitsdienste stattfindet. «Wer nichts zu verstecken hat, hat nichts zu befürchten» lautet ein geflügeltes Bonmot in diesem Zusammenhang.
Unabhängig solcher Gespräche erinnerte im vergangenen Sommer eine unscheinbare Zeitungsmeldung an eine längst vergessene Episode schweizerischer Staatskunde, womit sich vieles erklären lässt. Wir müssen in der Geschichte aber zurückgehen und ausholen, um diesem Artikel den notwendigen Rahmen zu verleihen.
Ende der Achtziger und zu Beginn der Neunzigerjahre war der EHC Kloten eine veritable Eishockeymacht. In der gleichen Zeit fiel mit der Sowjetunion ein globaler Machtblock in sich zusammen. Der «Kalte Krieg» zwischen dem Westen und Osten galt spätestens damit für beendet erklärt. Die westeuropäische Panik vor Kommunismus und «subversiver Umtriebe» gehörte zunächst der Vergangenheit an. Heraus kam zeitnah das umfangreiche, eidgenössische Erbe des Kalten Krieges: Die Schweiz bekam ihren Fichenskandal, der nachhallte. Bekannt wurde nämlich nicht weniger, als dass der Staatschutz über mehr als 900’000 Menschen eine geheime Akte anlegte, weil er diese Leute der «Subversion», also «staatsfeindlicher Umtriebe» verdächtigte. Private beteiligten sich an der Hetze. Als prominenter Jäger galt etwa Ernst Cincera. Der FDP-Nationalrat erstellte ein umfangreiches Archiv von Akten und arbeitete dabei eng mit den Behörden und der Bundespolizei zusammen. Urs von Däniken war der entfesselte Technokrat auf Bundesebene. Sein Name müssen wir uns merken, er wird wieder vorkommen.
Eine Reise nach Ostdeutschland konnte für Betroffene im Einzelfall genügen, um den staatlichen Argwohn auf sich zu ziehen. Die Absurditäten kannten kaum Grenzen: Einträge wie «er trinkt abends gerne ein Bier» dokumentieren das Ausmass und auch den Wahn, der hinter der ganzen Überwachungsparanoia stand. Dabei war Staatsfiche war mehr als irgendein unfreiwilliges Facebookprofil: Fichierte bekamen es mit ernsthaften Nachteilen zu tun, manch eine berufliche Beförderung wurde abgelehnt, ohne dass die Betroffenen die Gründe erfuhren. Manche Menschen suchten jahrelang erfolglos eine Arbeitsstelle. Anfang Neunzigerjahre – der EHC Kloten hatte seinen zweiten Titel von 1993 noch nicht errungen – war Schluss damit. Mindestens meinte man das in dieser Zeit.
Staat und Private Hand in Hand
Drehen wir die Zeit ein gutes Jahrzehnt nach vorne. Wir schreiben nun das Jahr 2006. Die damals noch sehr jungen Blue Eagles sammeln Unterschriften gegen die erneute Verschärfung des Staatsschutzes (BWIS). Gemeint waren mit dieser abermaligen Gesetzesverschärfung nicht mehr Leute, die des Kommunismus verdächtigt wurden. Neu war von «Hooliganprävention» die Rede. Ereignet hatte sich in der Zwischenzeit der Terroranschlag in New York und das Attentat in Zug. Es griff eine neue Sicherheits-Hysterie um sich, welche sich auf diffusem Wege Luft machte: Schliesslich waren ja nicht die «Hooligans» Verursacher solcher einschneidenden Ereignisse. Aber die damals schon vielzitierten, zweitausend Grad heissen Pyrofackeln lieferten die Hintergrundkulisse, vor der die Politik den starken Mann markieren wollte. Spätestens als am 13. Mai 2006 „die Schande von Basel“ über die TV-Kisten flimmerte, waren die Meinungen gemacht und jede Differenzierung beerdigt. Eine Mehrheit der stimmberechtigten schweizerischen Bevölkerung wollte fortan eine verschärfte Gangart gegen Nichtkonforme. Warum auch nicht? Schon gegen AsylbewerberInnen wurde in den Vorjahren massive Einschränkungen als notwendig erklärt und durchgesetzt. Videoüberwachungen von öffentlichen Plätzen kamen ebenfalls in dieser Zeit in Mode und der Wegweisungsartikel wurde in einigen Schweizer Städten eingeführt. Die gesetzliche Grundlage für die heutigen Rayonverbote war geschaffen und durchgesetzt. Kurz: Ab den Nullerjahren war Repression so richtig in Mode gekommen. Nicht mehr als staubige Karteikärtchen in den Amtsstuben von hinterhältigen Beamten, sondern so richtig und auf allen Ebenen.
Überraschen konnte uns diese nochmals verschärfte Politik nur teilweise. Wenn wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen im Grossen und Ganzen immer mehr Menschen beunruhigt, dann sind die gesellschaftliche Solidarität und der Zusammenhalt nicht unbedingt die selbstverständlichsten Reaktionen darauf. Wenn die Menschen zum „Gürtel enger schnallen“ aufgefordert werden, dann sinkt auch die allgemeine Toleranz für Unangepasste. Repression gegen „andere“ wird sogar plötzlich zur Mehrheitsmeinung. Hinzu kommt, dass sich als regierungsfähig beweist, wer von sich behauptet, durchsetzungskräftig zu sein. Die an sich unpolitischen Eishockey- und Fussballfankurven fanden sich plötzlich in diesem unseligen Diskurs wieder.
Als ab dem Ende der Nullerjahre die ersten, vermeintlichen «Hooligans» mittels des neuen Gesetzes und unter Zusammenarbeit von Staat und Privaten fichiert wurden, bekamen sie Post aus Bern. Eine Meldung von einem provinziellen Sicherheitssheriff genügte dafür. Unterschrieben waren solche Mitteilungen von niemand anderem als von Urs von Däniken persönlich. Der sogenannte «Skandal» Anfang der Neunziger hatte also kaum ernsthafte personelle Konsequenzen nach sich gezogen. Erst 2010 musste von Däniken abtreten, doch das Wesentliche blieb bestehen. Das «Fichieren» jenseits eines ordentlichen Strafregisters hatte den Kalten Krieg definitiv überlebt. Nur geschah das jetzt ganz ohne Skandal. Und ganz ahistorisch: In der Annahme, wir hätten das alles vergessen. So, als hätte wirklich «nichts zu befürchten, wer nichts zu verstecken» hat.
Wir haben uns an vieles gewöhnt
Wir schreiben den 12. Juli 2023. Keine zwei Wochen sind vergangen, seit die Blue Eagles ihr zwanzigjähriges Jubiläum in feucht fröhlicher Weise begangen hatten und dabei mitunter auf eine ganze Reihe an Repressionswellen zurückblicken konnten. Die Gratiszeitung «20 Minuten» sowie der Tagesanzeiger titulierten an diesem Tag, dass die Daten von fast 800 Menschen im Darknet landeten. Es handelte sich hierbei um Angaben von Personen, die 2015 in der berüchtigten Hooligan-Datenbank registriert wurden und deren Einträge eigentlich längst hätten gelöscht sein müssen. So geschah dies aber offensichtlich nicht und die Betroffenen wurden mit einem lapidaren Brief von der Bundespolizei darüber informiert, dass ihre Personenangaben nun zu allem Elend auch noch verloren gingen. Die Bundespolizei hätte diese Daten eben ausgeliehen und dann seinen diese entwendet worden.
In den Daten nicht enthalten waren die konkreten Massnahmen, welche gegen diese Personen erhoben wurden: Wer in dieser nunmehr halb-öffentlich zugänglichen Kartei vorkommt, könnte entweder wegen vorsätzlicher, schwerer Körperverletzung oder aber wegen einem Schneeballwurf aufgeführt worden sein. Diese Indifferenz ist denn auch ein Teil vom System: In der Staatskartei verschmelzen die Verdächtigen mit den Tatsächlichen, die Islamisten mit den Kommunistinnen, den Hooligans, den Ungeheuren und alle zusammen zu einer diffusen, bösen Masse. Mitgegangen, mitgefangen. Es braucht eben gerade eine solche indifferente Masse, damit der Überwachungsstaat eine latente Gefahrenlage und somit seine Legitimität aufzeigen kann. Dies hat sich seit dem Kalten Krieg nur unwesentlich verändert. Was sich in der Zwischenzeit anders darstellt, ist etwas anderes. Gab es Anfang der Neunzigerjahre nämlich Massenproteste gegen den Schnüffelstaat, so interessierte sich 2023 kaum mehr jemand für die staatliche Überwachung gepaart mit Schlamperei, was eigentlich ein veritabler Skandal darstellt. Es ist zu einer neuen Normalität geworden.
Nicht trauen aber alles zutrauen
Heute wird oft ausgeführt, dass Menschen, die sich im Internet und auf Social Media inszenieren würden, eigentlich kaum ein Recht auf Datenschutz von institutioneller Seite hätten. Wer sich mit Foto und Namen auf Instagram zeigen würde, soll also auch seinen Ausweis beim Betreten eines Stadions vorweisen können. Dieser geläufigen Ansicht widerspricht, dass es sich um zwei gänzlich unterschiedliche Kontexte handelt. In einem von Generalverdacht geprägtem Klima – wie etwa das Betreten eines Gästesektors an einem Eishockeymatch – ist die Preisgabe der Identität an private Veranstalter nicht risikoarm. Wenn schon die Bundespolizei nicht in der Lage ist, mit persönlichen Daten vertraulich umzugehen und diese allerspätestens nach Ablauf der Frist wieder zu löschen – wie ist dann einem privaten Sicherheitsdienst zu trauen, sollte es zum Beispiel im rauen Zentralschweizer Hockeyklima einer Bosshardarena eben doch zu einer Auseinandersetzung kommen? Was sollen Provinz-Sheriffs für Möglichkeiten in die Hand bekommen, um ihrer Herr-im-Haus-Mentalität zum Durchbruch zu verhelfen? Wer einen Hammer in die Hand bekommt, sieht sehr schnell ganze Gästesektoren als Nagel an. Am besten ist also, wenn der Hammer gar nicht erst in falsche Hände gerät. Aus diesem Grund müssen wir jedem Generalverdacht die Türe zuschlagen. Wir müssen dies aus aktueller und aus historischer Erfahrung tun.
Vogelperspektive #14, Januar/Februar 2024